Herbert Wulf, Fahrensmann

Laudatio zur Verleihung des „Peter Becker-Preises für Friedens- und Konflitkforschung“ 2006

 

Lothar Brock

Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschuhng

Frankfurt

Brock@hsfk.de

 

 

Lieber Herbert, liebe Freunde von Herbert Wulf und Gäste dieser Veranstaltung,

 

wir treffen uns in einer Stadt, die aus Frankfurter Sicht eher idyllisch ist, in Zeiten, die man je nach Temperament als aufregend oder katastrophal bezeichnen kann. Gegenwärtig überwiegt wohl bei den meisten von uns der Eindruck des Katastrophalen:

 

Die Gewalt in den Hauptkonfliktregionen der Welt, in Irak, Palästina, am Horn von Afrika und Afghanistan, eskaliert, die Pariser Weltklimakonferenz erklärt unter Anleitung des IPCC, dass „der Wohlstand, die Gesundheit, die Sicherheit und das Überleben der gesamten Menschheit auf der Kippe stehen“ (zitiert nach FAZ, 5.2.2007, S. 2, Kasten), und die mit solchen und anderen Warnrufen verbundenen Bedrohungsvorstellungen, leisten das Ihre, um immer neue Methoden des Zwanges, der Intervention, der Überwachung hervorzurufen – also Gegengewalt, die das tut, was Gegengewalt immer tut: nämlich ihr Gegenüber zu mehr Gewalt zu reizen.

 

Das friedliche Ende des Ost-West-Konflikt öffnete ein Fenster der Gelegenheit, um aus der Geschichte zu lernen und dem Frieden endlich eine wirkliche Chance zu geben. Dieses Fenster droht sich zu schließen und man beginnt sich zu fragen, ob es sich überhaupt noch lohnt, es offen halten zu wollen und unverzagt an der Selbstaufklärung der Menschheit als eine zum Frieden fähige Spezies der Schöpfung weiterarbeiten zu wollen, zumal die Schöpfung selbst zum Gegenstand militanter Agitation geworden ist. Sollten nicht gerade die Freunde des Friedens sich endlich den „harten Tatsachen“ der Politik stellen, die Dinge nehmen wie sie sind, sich auf kommende Kriege einstellen und daraus das Beste machen?

 

I.

Herbert Wulf hat als Wissenschaftler, Wissenschaftsmanager und Politikberater fast sein ganzes Leben lang gegen einen Realismus angekämpft, der in die Anpassung an die Gewalt mündet. Dreh- und Angelpunkt seiner Aktivitäten war und ist die Zivilisierung unseres Umganges mit Konflikten. In der Auseinandersetzung mit diesem Kernanliegen der Friedensforschung hat Herbert Wulf einen weiten Weg zurückgelegt.

 

Am Anfang stand eine mögliche Karriere als Bankbeamter. Aber der Ruf der Sparkasse in Düren war offensichtlich nicht stark genug. Herbert Wulf wechselte vielmehr schon bald aus der Welt des reichlichen Geldes in die des knappen Geldes, nämlich zum deutschen Entwicklungsdienst nach Nepal und Indien. Dieser zweite Anlauf war für die Selbstfindung des hier zu Ehrenden schon sehr viel bedeutsamer als der erste, aber noch nicht entscheidend. Der dritte Anlauf begann mit dem Studium der Betriebswirtschaft und Soziologie in Köln, Mannheim und Hamburg und wurde mit einer Promotion im Jahre 1978 an der FU-Berlin zum Dr. rer.pol. abgeschlossen. Erst das führte Herbert Wulf in die Gefilde, in denen er uns heute vertraut ist: in die keineswegs idyllischen Gefilde der Rüstungskontrolle, Abrüstung, Rüstungskonversion und des Peace Keeping. Zuerst war er wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, dann Senior Researcher und Projektleiter am Stockholm International Peace Research Institute. Von dort ging es nach Duisburg zum Institut für Entwicklung und Frieden, und schließlich – in kleiner Fahrt, aber mit erheblicher intellektueller Tonnage (ich komme auf diese Seemanssprache noch zurück) – zum Bonn International Conversion Center.

 

Seit 2005 ist Herbert Wulf in seiner Funktion beim BICC pensioniert, aber – wie man ohne Überraschung feststellt – keineswegs im Ruhestand. Er forscht, publiziert setzt seine Arbeit als Friedensdienstleister in zahlreichen Zusammenhängen fort, so im International Security Information Service in Brüssel, im Herausgebergremium der Zeitschrift „Wissenschaft und Frieden“ und im Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Besondere Beachtung findet aus nahe liegenden Gründen seine gegenwärtige Tätigkeit als Chief Technical Advisor des UNDP in Pyongyang, Nordkorea, in Sachen Rüstungskontrolle.

 

II.

Das BICC wurde gegründet, um die Entmilitärisierung der Politik voranzutreiben. Das sollte durch das Angebot von Lösungen für die sozio-ökonomischen Folgen der Abrüstung geschehen. Rüstungsbetriebe und Militärbasen sollten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht einfach geschlossen, sondern in zivile Aktivitäten umgewandelt werden. Damit sollten ökonomische Einreden gegen die Abrüstung entkräftet und ökonomische Interessen an weiterer Rüstung abgebaut werden. Das Institut hat sich unter der Leitung von Herbert Wulf in dieser Hinsicht erstaunlich nützlich gemacht – nicht nur mit Bezug auf Konversionsprojekte im eigenen Lande, sondern auch international.

 

So hat das Konversionszentrum in kürzester Zeit eine beachtliche internationale Anerkennung gefunden. Diese Anerkennung unterstreicht die Unverzichtbarkeit seiner Arbeit. Aber gerade die Unverzichtbarkeit des Forschungszentrum löst natürlich auch eine gewisse Beklemmung aus: Die Probleme, zu deren Bearbeitung das BICC gegründet wurde, haben sich seitdem nicht verringert, sondern verschärft: An Stelle einer Konversion des Militärischen zum Zivilen beobachtet man allenthalben eine Konversion von Kriegen zu Wirtschaftsunternehmen. Auf global integrierten Gewaltmärkten kann man heute alles kaufen, was man für einen Krieg braucht, und alles verkaufen, was man durch einen Krieg zusammenraubt.

 

Die Unverzichtbarkeit des BICC ist so gesehen Ausdruck eines wachsenden Handlungsbedarfs, und das ist ein Sachverhalt, den man mit äußerst gemischten Gefühlen zur Kenntnis nimmt; denn er besagt, dass die Bedeutung der Friedensforschung in dem Maße zunimmt, in dem sich die Realitäten von dem entfernen, wofür die Friedensforschung steht –eine Welt, in der Konflikte ohne Rückgriff auf Gewalt ausgetragen werden. 

 

Offensichtlich haben wir es beim gegenwärtigen Gewaltgeschehen mit einer höchst komplexen Dynamik zu tun, deren Bearbeitung immer auch einen erheblichen Aufwand an Analyse und theoretischer Durchdringung verlangt. Technische Lösungsvorschläge allein reichen nicht. Analyse und Theoriebildung dürfen aber nicht nur für den inner-akademischen Diskurs produziert werden, sondern müssen den fortgesetzten Austausch mit der Praxis suchen. Dies ist die Maxime, unter der Herbert Wulf arbeitet und die er in seinem jüngsten Buch zur Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden in einer viel beachteten Art und Weise umsetzt.

 

Ich habe nicht die Zeit, mich hier mit diesem Buch zu beschäftigen. Herbert Wulf wird, wie ich annehme, auch noch etwas Inhaltliches aus dieser Arbeit mitzuteilen haben und ich will ihm nicht vorgreifen. Nur dies sei angemerkt: Herbert Wulf analysiert Internationalisierungs- und Privatisierungstendenzen im Kontext systemischer Veränderungen der internationalen Beziehungen, ohne der Versuchung zu erliegen, um der Dramatik der eigenen Argumentation willen sich und den Leser dem Unausweichlichen, dem Schicksalhaften auszuliefern. Im Gegenteil, es kommt ihm darauf an, auf der Grundlage einer theoretisch angeleitete Analyse Ansatzpunkte für eine aussichtsreiche Bearbeitung der angesprochenen Probleme aufzuzeigen. Insofern ist es im besten Sinne des Wortes ein nützliches Buch, das nichts beschönigt, aber sich zugleich von allem Defätismus fernhält.

 

Herbert Wulf rückt den gegenwärtigen Gewaltverhältnisse und ihrer verhängnisvolle Dynamik nüchtern, aber nicht ohne leidenschaftliches Engagement in der Sache zuleibe.

Er unterwirft sich nicht dem „Lehrmeister Krieg“, wie ihn unser jüngst verstorbener Kollege Karl Otto Hondrich skizziert hat, oder einem selbstgewissen Realismus, wie Herfried Münkler ihn vertritt; Herbert Wulf steht mit seinem Werk vielmehr für den Versuch, die Zivilisierung der Politik unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Erfahrungen weiterzudenken. Er vermittelt dadurch ein Gefühl von Zuversicht, das einen nicht blind macht für die Realitäten, sondern hilft, sich ihnen zu stellen.

 

III.

Hierin spiegelt sich eine schöne Eigenschaft des heute zu Preisenden, die ich abschließend mit einer kleinen Bildbeschreibung ansprechen möchte.

 

Sommer 2003. Ein Schiff steuert die Brücke über den großen Belt in Dänemark an. Es ist ein holländischer Flachbodensegler mit 24 Menschen an Bord, der aus Norden kommt und von heftigen Sturmböen aus Nord-West getrieben wird: weit und breit kein anderes Schiff auf der aufgewühlten See. Der Segler hatte eine Nacht im Schutze Jütlands vor Anker gelegen. Dann war eine Starkwindwarnung gekommen. Die Anker waren gelichtet worden, um nach Süden segelnd den nächstbesten Hafen zu erreichen.

Aber der Starkwind wird rasch zum Sturm. Alle Häfen sind besetzt. Ohnehin ist es unmöglich, auf Luv auch nur den Windschatten einer Insel ansteuern zu wollen, geschweige denn einen Hafen. Und auf Lee ist nichts, nur endlose, tobende See. So bleibt nur, weiter nach Süden durch den großen Belt zu segeln und dann zu versuchen, im Windschatten der Brücke Helsingör anzulaufen.

Stunde um Stunde stampft, rollt und schlingert das Schiff in einem Wetter, für das es nicht gemacht ist. Kapitän und Maat wechseln sich am Ruder ab. Einer aber bleibt ständig dort, wie festgenagelt, den Blick unverwandt auf die Brücke gerichtet, vor der der Segler wild hin und hergeworfen wird. Das ist Herbert Wulf. Er bietet, Stunde um Stunde, abwechselnd für Kapitän und Maat eine lebende Verankerung hinter dem Ruder. Ohne diese Verankerung kann sich niemand am Ruder halten. Kapitän ist Nelly, der wird schlecht, Maat ist Niek, der beginnt, sich ernsthafte Sorgen zu machen; die Zyniker unter den Mitseglern sind bemüht, ihre Lebensgeister mit Galgenhumor zu mobilisieren, während die Idealisten sich versuchsweise dem ängstlichen Staunen über die Kräfte der Natur hingeben. Herbert Wulf aber behält bei alldem die Ruhe und die Übersicht – selbst als auch Helsingör nicht angelaufen werden kann und der Segler nach einem waghalsigen Wendemanöver vor dem Wind auf den gegenüberliegenden Hafen von Helsingborg zutreibt. Das Schiff erreicht schließlich wohlbehalten den Hafen. Herbert Wulf ist es, der achtern – ruhig und fachmännisch wie immer – die Leinen festmacht.

 

Ich bin sicher, dass ihm wie allen anderen die Knie zitterten, aber es war ihm nicht anzumerken. Herbert Wulf war, was er wirklich ist: ein Fahrensmann, der alle Seemannsknoten kennt, die man können muss, wenn man sich auf einen großen Törn begibt. Die Knoten haben den Sinn, beides zu ermöglichen: sichere Verankerung und schnellen Aufbruch zu neuen Ufern. Sicher verankert hat sich Herbert Wulf an vielen Orten und jede Verankerung bot die Basis für einen neuen und oft kühnen Aufbruch. Der nächste steht schon fest: Es geht zum Australian Center for Peace and Conflict Studies an der University of Queensland in Brisbane, Australien – allerdings mit dem Flugzeug und nicht mit dem Segelschiff, wie ich vermute. Wie auch immer: ich wünsche Dir, Herbert, gute Reise und uns allen einen Bericht vom weiteren Gang der Arbeit am anderen Ende der Welt.